Die hängende Säge
– Sechs Mal umsteigen, und wenn du ankommst, sagst du Bonjour Madame.
Vater stellte keine Fragen. Er glaubte an mich.
In Basel stieg ich um. Im Anschlusszug hörte ich die Passagiere französisch reden. Ich lauschte diesen fremden Tönen.
Kaum war der Zug abgefahren, tauchte hinter der Bahnhofsmauer der Rüssel eines Elefanten auf und versprühte eine Wasserfontäne. Wie ein Vorzeichen, als würde mich die Reise nach Afrika führen.
Kurz nach Colmar hoben hinter meinem Fenster zwei Störche vom Boden ab. Sie nahmen schnell das Tempo des Zuges auf, ihre langen roten spitzen Schnäbel nach Beute ausgerichtet, die Beine aneinandergepresst. Die Flügel schwangen kräftig auf und ab, wie zwei Arme, die sich im Schwimmbecken nach vorn kämpfen.
Am letzten Abend im Sportlager legte mir der Lehrer eine Medaille um den Hals.
– Zwanzig Meter unter Wasser schwimmen. Das hast du gut gemacht.
Ich war stolz. Ich bewunderte ihn. Er rühmte mich vor allen.
– Du bist schön, sagte er.
– Ich habe drum heute Geburtstag, sagte ich.
– Das müssen wir doch feiern, sagte er.
Im Rattern des Zugs döste ich vor mich hin, zwischen den Augenlidern die Störche mit ihren schwingenden Flügeln, schwarz-weiß, wie mein neuer Bikini.
Mutter ging mit mir zur Berufsberatung.
– Wir haben Lilly für das zehnte Schuljahr angemeldet. Sie weiß nicht, was sie
werden will. Jetzt ist sie plötzlich stumm geworden.
Ich musste einen Baum malen. Ich malte einen Tann-zapfen. Aber der Berufsberater wollte einen Baum von mir.
– Aus dem Mädchen wird nichts. Schauen Sie sich diesen Baum ohne Wurzeln an, sagte der Berufsberater.
Mutter wollte, dass etwas wird aus mir. Sie ging mit mir zum Katholischen Frauenbund in die Stadt Luzern. Fräulein Pfister saß hinter einem Eichenpult und musterte mich von oben bis unten. Mutter hatte mir ein rosarotes Kostüm aus Leinenstoff genäht. Meine zu großen braunen Lederschuhe hatte ich vorne mit Zeitungspapier ausgestopft.
– Ein Mädchen, das nicht redet und nicht mehr will, geht am besten für ein Jahr ins Welschland, sagte Fräulein Pfister.
– Aber doch nicht unsere Lilly, protestierte Mutter.
Bei uns war es damals üblich, dass man Mädchen in anderen Umständen für ein Jahr ins Welschland schickte. Die von den abgelegenen Höfen, wo die Familien über ein Dutzend Kinder hatten, mussten in die Schlucht und dort ein Jahr in einem uralten Holzhaus verbringen, wo es geisterte.
Fräulein Pfister rüttelte an einer Schublade, zog eine Papiermappe mit Unterlagen hervor und legte sie vor uns auf das Eichenpult.
– Ich hätte da noch eine Adresse in Belgien, sagte sie.
Belgien tönte nach weit weg. Ich nickte. Da wollte ich hin.
Vater stellte keine Fragen. Er glaubte an mich.
In Basel stieg ich um. Im Anschlusszug hörte ich die Passagiere französisch reden. Ich lauschte diesen fremden Tönen.
Kaum war der Zug abgefahren, tauchte hinter der Bahnhofsmauer der Rüssel eines Elefanten auf und versprühte eine Wasserfontäne. Wie ein Vorzeichen, als würde mich die Reise nach Afrika führen.
Kurz nach Colmar hoben hinter meinem Fenster zwei Störche vom Boden ab. Sie nahmen schnell das Tempo des Zuges auf, ihre langen roten spitzen Schnäbel nach Beute ausgerichtet, die Beine aneinandergepresst. Die Flügel schwangen kräftig auf und ab, wie zwei Arme, die sich im Schwimmbecken nach vorn kämpfen.
Am letzten Abend im Sportlager legte mir der Lehrer eine Medaille um den Hals.
– Zwanzig Meter unter Wasser schwimmen. Das hast du gut gemacht.
Ich war stolz. Ich bewunderte ihn. Er rühmte mich vor allen.
– Du bist schön, sagte er.
– Ich habe drum heute Geburtstag, sagte ich.
– Das müssen wir doch feiern, sagte er.
Im Rattern des Zugs döste ich vor mich hin, zwischen den Augenlidern die Störche mit ihren schwingenden Flügeln, schwarz-weiß, wie mein neuer Bikini.
Mutter ging mit mir zur Berufsberatung.
– Wir haben Lilly für das zehnte Schuljahr angemeldet. Sie weiß nicht, was sie
werden will. Jetzt ist sie plötzlich stumm geworden.
Ich musste einen Baum malen. Ich malte einen Tann-zapfen. Aber der Berufsberater wollte einen Baum von mir.
– Aus dem Mädchen wird nichts. Schauen Sie sich diesen Baum ohne Wurzeln an, sagte der Berufsberater.
Mutter wollte, dass etwas wird aus mir. Sie ging mit mir zum Katholischen Frauenbund in die Stadt Luzern. Fräulein Pfister saß hinter einem Eichenpult und musterte mich von oben bis unten. Mutter hatte mir ein rosarotes Kostüm aus Leinenstoff genäht. Meine zu großen braunen Lederschuhe hatte ich vorne mit Zeitungspapier ausgestopft.
– Ein Mädchen, das nicht redet und nicht mehr will, geht am besten für ein Jahr ins Welschland, sagte Fräulein Pfister.
– Aber doch nicht unsere Lilly, protestierte Mutter.
Bei uns war es damals üblich, dass man Mädchen in anderen Umständen für ein Jahr ins Welschland schickte. Die von den abgelegenen Höfen, wo die Familien über ein Dutzend Kinder hatten, mussten in die Schlucht und dort ein Jahr in einem uralten Holzhaus verbringen, wo es geisterte.
Fräulein Pfister rüttelte an einer Schublade, zog eine Papiermappe mit Unterlagen hervor und legte sie vor uns auf das Eichenpult.
– Ich hätte da noch eine Adresse in Belgien, sagte sie.
Belgien tönte nach weit weg. Ich nickte. Da wollte ich hin.